Ein Kommentar von Wolfgang Kerler
Die CDU hat das Jahr mit einem Werkstattgespräch begonnen. Im Februar scharte die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer etwa 100 Christdemokraten aus ganz Deutschland um sich, um gemeinsam das große Trauma der Partei zu bewältigen: War es nun richtig, im Herbst 2015 die Grenzen für Flüchtlinge nicht zu schließen? Oder war es ein Kontrollverlust?
Obwohl ich vor gut einem Jahr selbst noch als politischer Korrespondent in Berlin war und mit großer Überzeugung behaupten würde, dass ich mich sehr für Politik interessiere – mir war vollkommen egal, was bei dem Werkstattgespräch herauskommt. Kann die mächtigste Partei Deutschlands nicht endlich den Herbst 2015 auf sich beruhen lassen und sich der Zukunft widmen?
Meine These: Hätte sie das Jahr mit einem Werkstattgespräch zur Klimakrise begonnen und danach frische Ideen präsentiert, wie Deutschland und Europa die Klimaziele noch erreichen können, wäre der CDU das Rezo-Video erspart geblieben.
Rezo kritisiert vor allem die Klimapolitik der Regierung
Wer es nicht mitbekommen hat: Am Wochenende hat der YouTuber Rezo ein Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlicht, das inzwischen über drei Millionen Views hat. Ein viraler Hit also, in dem Rezo nicht nur mit der CDU, sondern auch mit der CSU, der SPD, der AfD und ein wenig auch mit der FDP abrechnet.
Der 26-Jährige mit blauen Haaren, orangenem Pulli und Baseball-Cap kritisiert darin ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik, ihre Haltung zu Militäreinsätzen der USA oder die Inkompetenz mancher Parteivertreter. Vor allem aber greift er die Klimapolitik der Bundesregierung an – besser gesagt: die Nicht-Klimapolitik. Seine Hauptanklage: CDU, CSU und SPD ignorieren den Rat der meisten Experten und unternehmen viel zu wenig, um die Klimakrise zu stoppen.
Die Politik muss sich wieder um die Zukunft kümmern!
Nun schießen sich einige darauf ein, dass Rezo stark zuspitzt und polemisiert. Oder dass er eine naive Vorstellung von Politik hat. Oder dass manche Thesen im Video nicht stimmen. An manchen dieser Vorwürfe mag etwas dran sein.
Ich danke Rezo trotzdem dafür, dass er das Video veröffentlicht hat. Er zwingt die Politik damit, sich endlich wieder mit der Zukunft zu befassen. Genauso wie es Greta Thunberg tat, als sie die Fridays for Future lostrat. Deswegen danke ich auch ihr und den tausenden Schülern, die für den Klimaschutz jeden Freitag auf die Straße gehen.
Wegen euch muss die Politik das wichtigste Zukunftsthema überhaupt anpacken: die Bekämpfung der Klimakrise. Was nützt uns denn die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Grundrente oder ein „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, wenn der Planet ruiniert ist.
Um die Klimakrise einzudämmen, braucht es echte Ideen, echte Entscheidungen und mutige Politiker, die diese treffen. Die haben aber nur eine Chance, wenn den regierenden Parteien klar wird, dass vor allem die jungen Menschen ein Umsteuern fordern und genau hinschauen.
Deutschland ist ein altes Land
Nun spricht Rezo in seinem Video ein grundsätzliches Problem an. Deutschland ist ein sehr altes Land. Bei der Bundestagswahl 2017 waren 36 Prozent der Wahlberechtigten über 60. Wahlberechtige unter 30 hatten dagegen nur einen Anteil von 15 Prozent. Kurz gesagt: Beim Blick auf diese Zahlen könnte die CDU das Video oder die Fridays for Future einfach ignorieren und darauf vertrauen, dass den Alten die Klimakrise nicht so wichtig ist.
Aber, auch das sagt Rezo selbst, junge Menschen sind Kinder und Enkel – und können das Wahlverhalten ihrer Familien durchaus lenken. Den Einfluss dieser neuen Jugendbewegung sollte daher keine Partei unterschätzen. Ein Wahlrecht ab 16 könnte der Sache natürlich zusätzlich Nachdruck verleihen.
Dass die Botschaft – trotz aller Beißreflexe – durchaus ankommt, erleben wir an der Debatte über einen CO2-Preis. Inzwischen sieht es aus, als könnte am Ende sogar die CDU ihren Widerstand dagegen aufgeben. Vor einem Jahr hätten viele das für undenkbar gehalten.
Die SPD kümmert sich um ein anderes Trauma
Falls noch jemand wissen will, wie die SPD das Jahr begonnen hat: Genau wie die CDU hat sie alte Wunden geleckt und wieder einmal über Hartz IV diskutiert, also über die Sozialstaatsreformen von 2005.
Beiden Parteien sei gewünscht, dass sie die Vergangenheit jetzt endlich hinter sich lassen können. Dann haben sie mehr Energie, um sich wirklich um die Zukunft zu kümmern. Die Schüler können dann freitags wieder in den Unterricht und Rezo kann wieder Comedy-Videos machen.
Teaser-Bild: Screenshot von Rezo ja lol ey / YouTube